4. Oct. 73

Meine lieben zu Hause !

Es ist Sonntag in der früh und ich liege noch im Bett, desshalb die Schrift. Außerdem freue ich mich schon aufs Frühstück. Sonntag machen wir uns immer Eier und Schinken und Orangensaft. Manchmal backen wir uns auch Vermont-Cakes. Das sind so Laberl aus einem komischen Teig, der wird in einer Pfanne herausgebraten und am Teller gibt man sich dann Sirup drüber. Schmeckt sehr gut und ist angeblich sehr nahrhaft. Wochentags essen wir in der früh so ein Art Müsli. Ich meine, es sieht zumindest so aus. Man gibt eine Mischung aus Nüssen, Rosinen und Haferflocken in eine Schale, dann schneidet man Bananen und Äpfel drüber und heiße Milch. Auch sehr gut. Da wir gerade beim Essen sind, werde ich euch gleich mehr darüber berichten. Es sagt euch ja alles, wenn ich euch erzähle, daß es keine dicken Leute gibt hier. Ich habe vielleicht 3 gesehen und die fallen richtig auf! 1. Essen die Amerikaner dauernd Salat, was ich verweigere – „Goasfuader“. Fast alles wird ohne Fett heraus gebacken und dann in Waxpapier gewickelt, damit ja kein Fett aufs Teller kommt. Sehr viel Gemüse, ganz kurz gekocht und ohne Einbrenn. Gestern waren Anne und ich in so einer Laune und wir haben gekocht. Zwiebel, Äpfel und Karotten in einer Pfanne, komischerweise hat es allen geschmeckt. Gestern haben wir nämlich gebastelt. Freunde (ein Araber!) haben uns geholfen, wir haben nämlich Bücherregale gebastelt und Anne und ich haben die Regale weiß gestrichen. Es ist sehr hübsch, ober der Heizung, bis hinauf auf die Wand.

Sonntags zeigt mir Mrs. Wilson meistens etwas von der Gegend. Vergangenen Sonntag waren wir bei einem See und sind herum gewandert. Anschließend, am abend, waren wir bei Freunden zum „dinner“. Sie heißen Oshima, er ist Japaner (sieht aber nicht so aus, weil er groß ist) und sie Amerikanerin, außerdem gibt’s 4 Kinder, (8,16,18,21) eine Katze und einen Hund. Vergangene Woche war ein Feiertag hier „Halloween“, alle Kinder verkleiden sich am Abend und gehen von Haus zu Haus mit einem Sack, sie klopfen an die Tür und sagen „Trick or Treets“ was soviel heißt wie, wenn Du ihnen keine Naschereien gibst, spielen sie Dir einen Streich, wie z.B. das Auto mit Seife anschmieren. Gott sei Dank sind uns die Süßigkeiten nicht ausgegangen.

Sonntags gehe ich jetzt auch in die Messe mit Mrs. Wilson, aber in verschiedene Kirchen, weil sie, wie fast alle hier, evangelisch ist. Aber meine Kirche ist in der Nähe und nachher gehen wir immer gemeinsam nach Hause. Hier sind so viele junge Leute in der Messe, ich war ganz überrascht. Außerdem haben sie einen schönen Brauch, nach dem Vater unser gibt jeder seinem Nachbarn an den Seiten und Hinten und Vorne die Hand und sagt „Peace to you“, d.h. „Friede sei mit dir“. Ich lerne jetzt Englisch mit Schallplatten, die ich mir von der Bibliothek ausgeborgt habe. Man sitzt mit einem Buch in der Hand, in dem lauter kleine Zeichnungen sind. Die Zeichnungen werden auf der Platte erklärt, dann ist eine Pause, wo du nachsprechen mußt. Außerdem sind Fragen drauf, die Du beantworten mußt, dann sagt es die Stimme, so kannst Du überprüfen ob Du richtig warst.

Richtig, noch etwas. Wir haben hier “Winterzeit“, d.h. wir haben die Uhr eine Std. vorgestellt, damit man länger schlafen kann. Unser Zeitunterschied beträgt jetzt also 6 Stunden.

Das Wetter ist sehr komisch hier. Die Tage sind zwar sehr klar und sonnig, aber bis jetzt war es noch immer wie im Sommer und jetzt ist es plötzlich fast wie im Winter. Ziemlich kalt. Alle reden nur mehr vom Winter und alle haben Angst. Ich lasse mich überraschen.

Wir haben übrigens Zentralheizung, was sehr an- genehm ist. Aufräumen tu ich immer am Freitag, ich brauche aber nie länger als eine Stunde. Ihr wäret erstaunt wie or- dentlich ich geworden bin. Zuerst war ich es nicht, aber da ich dann die doppelte Arbeit habe, räume ich jetzt lieber gleich alles weg, ich meine Kleider und so.

Was ist eigentlich mit dem anrufen, ruft Liselotte einmal an? Von Renate habe ich erst gestern den zweiten Brief bekommen. Ich schicke euch dieses Papierl fürs Finanzamt, ich trage es schon wochenlang herum und habe immer vergessen.

Viele, viele Bussi
Eure Martina
Take it easy so long