25. Oct. 73

Meine Lieben zu Hause!

Ich habe schon sehr sehnsüchtig auf eine Nachricht von euch gewartet. Aber hier waren 2 Feiertage vergangene Woche und desshalb hat sich die Post verzögert. In einer Stunde habe ich Schule und vorher schreibe ich euch noch schnell. Hier ist jetzt auch schon Herbst. Es wird kälter und man muß schon den Mantel tragen. Mrs. Wilson hat mir eine Jacke von Irma geschenkt, die Anne nicht passt. Sie ist blau und dick (von LANZ!) und ich kann sie gut brauchen. Ich habe schon eine Hose putzen lassen und im Waschen und Bügeln bin ich inzwischen perfekt. Ich war auch gestern schon Haare schneiden, ich habe hier einen Friseur gefunden, der nicht so teuer ist und gut schneidet. (90 Schilling für trocken schneiden, das ist hier sehr billig!) Von Liselotte habe ich noch nichts gehört Obwohl sie ja jetzt schon zu Hause ist. Sie soll mir schreiben! Überhaupt sind alle sehr schreibfaul, von Renate weiß ich gar nichts, von Erni habe ich erst heute einen Brief bekommen. Großmutter habe ich geschrieben, aber vergessen, daß sie Geburtstag hat. Bitte richtet Ihr alles Liebe aus usw., auch allen anderen, falls sie irgendeine Festlich- keit begehen.

Mrs. Wilson hat mir einen Vorschlag gemacht, nämlich daß ich bei Ihr und Anne wohne, bis auf weiteres (bis wir etwas finden!), wenn ich Ihr für Licht und Heizung ein bißchen etwas zahle. Ihr braucht keine Angst haben, wir reden nur Englisch, sonst würde ich es nicht tun. Ich glaube, das ist ganz gut, weil ich so durch Anne viele junge Leute kennenlerne und mehr Zeit zum Lernen habe. Ich gehe aber weiter natürlich Baby- Sitten, um Geld zu verdienen, und den ganzen Tag wären mir die Kinder sowieso zu anstrengend. Vorgestern war ich auf einer Party, es war ziem- lich lustig. Alle sagen, daß ich schon so viel Englisch gelernt habe und ich kann jetzt wirklich schon alles ausdrücken, was ich will und es klingt viel fließender.

Hoffentlich ist Papa nicht ernsthaft krank. Na ja, Du wirst schön lang- sam älter, Papa, nicht?

Ich habe mich schon richtig eingelebt hier, die Tage vergehen schnell und es gefällt mir noch immer so gut. Sagt Liselotte, daß ich „Love Story“ im Fernsehen gesehen habe und daß der Film hier spielt. In Cambridge und in Harvard, auf die Uni, wo ich auch hingehe! Dann kann sie euch sagen, wie es hier aussieht.

Haltet mich auf dem Laufenden.
Grüße an alle,
viele liebe Bussi, auch an alle,
Eure Martina